portrait von al' leu


Andreas Jauns Skulpturen wurzeln thematisch in der langen Tradition der Bildhauerei. Formal sind sie aber in der Moderne verankert. Ihre Architektonik verweist oft auf den Kubismus.
Andreas Jauns Zentralthema ist der Torso. Der Torso im klassischen Sinn ist eine Skulptur, die durch Krieg, Erdbeben oder andere Einflüsse eine andere Form erhalten hat. Im Griechischen bedeutet das Wort "Torso" Strunk, abgeleitet von Baumstrunk. Skulpturen, die als "Torso" geschaffen wurden, sind in der Antike und dem Mittelalter nicht bekannt. Auch die torsoähnlichen Bildhauerwerke aus der Renaissance wie beispielsweise Michelangelo Buonarrotis "Sklaven" sind keine Torsi, sondern unvollendete Skulpturen. Der erste Bildhauer, für den der Torso zum künstlerischen Thema wurde und der ihn auch ein Leben lang intensiv herausforderte, war Auguste Rodin. Das Thema lag damals allerdings in der Luft, denn auch der Impressionismus interessierte sich für die Aesthetik des Unfertigen, für die Darstellung des Momentanen, für den poetischen Charakter des Lichtes und war bemüht, dem Skizzenhaften einen immer höheren Stellenwert zu verleihen.
Andreas Jauns streng konzipierte Plastiken verkörpern, neben der in einigen Werken vorhandenen Fliessrhythmik, vor allem Bewegungsmomente. Sie sind ein statuarisches Innehalten von Bewegung, die sich im Spannungsfeld von Geometrie und Organik entwickelt. Man darf sie insofern als "reine Plastik" verstehen, weil sie auch keine literarisch deutbare Handlungsinhalte verkörpern, sondern einen selbstreferentiellen Charakter aufweisen. Das heisst, die Skulpturen machen sich selbst zum Thema. Ihre Bewegung und die dazu gehörige Abwicklung im Raum, sowie Konturen und Flächenverläufe bilden mit ihren Drehwinkeln, Volumen, Aussparungen, Kantenverbindungen und Dehnungen Schwerpunkte ästhetischer Erfahrung und optischen Erlebens. Die tektonische und geometrische Bau- und Kompositionsweise bilden die Faktoren, welche immer wieder neue Licht- und Schattenvariationen inszenieren. Das Spiel mit Schlag- und Eigenschatten kann auf der Materialoberfläche unzählige Variationen von lautlosen Manifestationen erzeugen. Sie zeigen, dass strenge Formen und extrem hartes Material nicht nur Botschafter der Ordnung und des klaren Denkens sind, sondern auch auf Ebenen verweisen, die jenseits des verwendeten Betons nicht sofort vermutet werden, wie beispielsweise die Symbolik des Vergänglichen, die in jedem Bemühen um langfristige Dauerhaftigkeit anwesend ist.
 
Al'Leu, Bildhauer und Publizist, Zürich
Vernissagerede vom 20.09.2013, Galerie am Lindenhof, Zürich


Der "Torso" fasziniert Andreas Jaun schon seit Jahren. In der Bildhauerei wird ein Torso als plastische Darstellung eines menschlichen Körpers aus Stein, Metall, Keramik oder Holz bezeichnet, der im Laufe der Zeit durch Kriege oder andere ideologische Motive verstümmelt wurde. In der Renaissance erwachte das Interesse an Torsi aus dem antiken Erbe. Zu dieser Zeit wurden viele Kunstwerke der Antike wiederentdeckt, welche die Künstler als Inspiration zu neuen Werken nutzten. Michelangelos Bewunderung für den aus dem 1. Jahrhundert vor Christus stammenden "Torso des Herakles" von Apollonios von Athen ist nur ein Beispiel für viele andere. Der französische Bildhauer Auguste Rodin erklärte den Torso zu einer eigenständigen Gattung der plastischen Kunst.

Er öffnete damit die Quelle für den  Mythos um das Vorläufige, das Skizzenhafte und das Unvollendete. Mit seinem Argument der Spontaneität und Emotionalität  hat er die durchgestalteten und technisch sorgfältig ausgeführten Werke der Bildhauerei immer wieder in Legitimationsnot gebracht. Die Vertreter der modernen Bildhauerei, die sich zur menschlichen Figur bekannten, haben sich mit oft bemerkenswertem Ideenreichtum mit dem plastischen Potenzial des Torso auseinandergesetzt. Wilhelm Lehmbruck schuf 1911 seinen legendären "Hageren Torso". In den frühen fünfziger Jahren formte Mario Marini seinen "Krieger mit Schild". Im Werk von Fritz Wotruba, Henry Moore und Alfred Hrdlicka finden sich zahlreiche Beispiele für die plastische  Auseinandersetzung mit diesem Thema. Andreas Jauns Plastiken stehen thematisch im Umfeld des Torso-Motivs. Bemerkenswert an ihnen ist das Bekenntnis zur klaren Form. In ihr weckt er, trotz seinem modernen Konzept, Assoziationen an die Werke der frühen Archaik Griechenlands. Seine Köpfe, Würfelhocker und Torsi sind in eine strenge Statuarik eingebunden. Das heisst, die Figurationen machen räumliche Bezüge bewusst. Bei Andreas Jauns Plastiken wird eine Poesie der Formabläufe erfahrbar, die sich im Spannungsfeld zwischen Geometrisierung und Organik entwickelt.
Die einzelnen Flächen nehmen die benachbarten auf und integrieren sie in ihre Eigengesetzlichkeit. Daraus entsteht eine volumenimmanente Rythmik. Jeder Formverlauf wird zu einer harmonischen Abwicklung im Spiel mit den Proportionen. Die Qualitäten der Wölbungen und Dehnungen der Volumina werden durch eine sorgfältige Oberflächenbehandlung auch optisch veredelt. Andreas Jauns Schaffensprozess, dem zeichnerische Vorarbeit nur bedingt dienen kann, entsteht durch Intuition, in der Erfahrung, Gefühl und Formbewusstsein zum Kristallisationspunkt der Formfindung werden.


Al'Leu, Bildhauer und Publizist, Zürich
Vernissagerede vom 18.09.2015, Galerie am Lindenhof, Zürich

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